Ich komme soeben vom Freitanz aus Niederbayern zurück. “Geistigfrei” und völlig glücklich darüber, Corona Konform anderen Freitänzern begegnen zu sein. Doch welche Menschen treffen sich, an Allerheiligen, im Regen, mit Kopfhörern und zudem noch in einer Burgruine in Niederbayern? Menschen, die aktuell in Kliniken, Praxen und Workshop Kontexten für die Psychohygiene anderer Menschen sorgen. Und die, an solch einem Tag, gemeinsam die Entscheidung getroffen haben, das Wetter anzunehmen, wie es kommt. Um danach, mit neuer Energie und mit sich selbst im Reinen, wieder für andere da sein zu können.

Genau wie wir beim heutigen Wetter, können wir Corona wirklich als Chance nutzen. Nicht das wir uns missverstehen. Ich heiße nicht gut, was uns aktuell widerfährt. Doch ist Corona nur ein Auslöser für den aktuell zu erlebenden, wirtschaftlichen Abschwung sowie gesellschaftlichen Wandel. Ein jahrzehntelanger Boom geht zu Ende.

Wenn wir Erik Händeler einem Wirtschaftsjournalisten und Zukunftsforscher Gehör schenken, dann rätselt die Wirtschaftswissenschaft schon lange, warum die Produktivität stagniert, obwohl wir Milliarden in neue Techniken investieren. Die Antwort darauf ist, dass die technischen Prozesse jetzt weitestgehend durchrationalisiert sind, während die zunehmenden Arbeitsabläufe zwischen Menschen nicht ausreichend produktiv sind -wenn zwei Abteilungsleiter nicht miteinander reden, hilft keine Industrie 4.0, keine Nanotechnik und auch kein Flugtaxi.

Daher kommt auch die Instabilität, dass die Wirtschaft auch vor Corona trotz Digitalisierung nicht mehr vom Fleck kam, weil eben die Menschen hinter der Technik mit ihrem Verhalten nicht produktiver wurden.

Die Krise wird dafür sorgen, dass wir weniger in der Technik den Fortschritt suchen, sondern in den Menschen hinter der Technik: ihrer Gesundheit, ihrer Bildung, vor allem aber ihrer Kompetenz produktiver zusammenzuwirken.

Nicht das Geld für Coaching und Teambildung treibt die Wirtschaft, sondern das konstruktive Streiten mit besseren Ergebnissen.

Wie schnell es wieder nach Corona aufwärts geht, hängt davon ab, wie gut wir den Teil der Arbeit, der immateriell zwischen Menschen stattfindet, besser hinbekommen. Das ist keine Einzelleistung, sondern etwas Systemisches: Drei Mitarbeiter, die gut zusammenarbeiten, sind bedeutend produktiver als ein „Hochbegabter“, bei dem es aber nicht gelingt, die Ergebnisse der Arbeitsteilung zusammenzuführen. Wer da an seinem Eigennutz orientiert ist, an seiner Kostenstelle, der behindert das Projekt. Wohlstand in der Wissensgesellschaft hängt davon ab, dass sich Einzelne mit ihren unterschiedlichen Potenzialen in Freiheit entfalten können- nicht jedoch für sich selbst, sondern, um diese für das Gesamtprojekt einzusetzen. Das geht über ihren Eigennutz hinaus.

Durch die Krise rückt der Mensch hinter der Technik ins Zentrum der neuen Auseinandersetzung, mit seinem Sozialverhalten, seiner Bildung und Gesundheit.

Und hier schließt sich der Kreis.

Was ist, wenn ich durch die aktuellen Maßnahmen noch mehr aus dem Kontakt mit anderen Menschen gehe? Was macht das mit mir? Was mit unserer Gesellschaft?

Was ist, wenn ich der Angst weiter folge? Und damit nie erfahre, dass sie Irrational ist?

Was ist, wenn ich um jeden Preis an meinen alten Mustern festhalten will? Findet dann das notwendige Wachstum statt?

Was ist, wenn ich weiterhin andere Menschen für meine aktuelle Unzufriedenheit verantwortlich mache? Und so jegliche „Innenschau“ und „Psychohygiene“ verhindere?

Was ist, wenn ich all das, was mich vermeidlich ausmacht nicht mehr hätte? Wer wäre ich dann?

Was ist, wenn ich alles, was ich einmal gelernt habe, nicht mehr anwenden kann? Wie gehe ich damit um?

Ich kann Euch meine Antwort darauf geben. Wenn alle diese Gedanken, Privilegien, Egostrategien und Muster größtenteils aufgelöst wären, dann würdet ihr euch selbst begegnen. Und das auf einer bewussteren Ebene. Bewusster im Umgang mit euch und anderen. Zugegeben der Gedanken macht im ersten Moment Angst. Denn es stellt unweigerlich alles in Frage, was ich bisher von mir geglaubt habe.

Doch wenn ich in meinen alten Strategien bleibe, macht es mich auch zum Objekt und zur Projektionsfläche für andere. Warum? Weil ich mir ständig darüber Gedanke mache, was von mir erwartet wird. Wer ich zu sein habe. Was andere von mir denken oder nicht denken. Ich stelle mich womöglich für die Bedürftigkeit anderer zur Verfügung, um gemocht zu werden. Oder stille meine Bedürftigkeit, indem ich andere für meine Zwecke benutze. Ich gehe nicht in Verantwortung für mein Handeln und mache stattdessen andere dafür verantwortlich. So muss ich mir selbst nicht begegnen. Denn eins kann ich euch aus eigener Erfahrung sagen: Ich muss mich entscheiden, diesen Weg zu gehen. Und zwar mit allem was da kommt. Wer sich jetzt fragt, wie soll ich denn damit anfangen, dem empfehle ich das Spiegelgesetz.

Auf Wunsch einiger Leser- hier die Erklärung des Begriffs Projektion: Vereinfacht gesagt ist es eine Projektion, wenn wir anderen Menschen Eigenschaften, Schwächen oder Probleme zuschreiben, die wir selbst offen oder versteckt in uns tragen. Wenn wir projizieren, übertragen wir also unsere eigenen Themen, Ängste oder Sorgen auf andere Menschen. Also wenn ich zum Beispiel jemanden vorwerfe, dass er egoistisch ist, obwohl ich eigentlich selbst egoistisch bin. So etwas bei sich selbst zu erkennen ist natürlich extrem schwer. Und wenn wir es schaffen, unsere eigenen Projektionen aufzudecken, gewinnen wir ein erstaunliches Stück Verantwortung über unser eigenes Leben zurück. Wenn wir projizieren, übertragen wir also unsere eigenen Themen, Ängste oder Sorgen auf andere Menschen. Und das Gemeine ist, dass wir es im Normalfall nicht merken. Wir können es auch wie folgt nennen: von sich auf andere schließen. Wer sich den Projektionsmechanismus nicht klarmacht, kann sich hemmungslos über andere aufregen. Über die ganzen „Menschen“ da draußen, die Menschen, die immer egoistischer oder unzuverlässiger werden, über die bösen Banker oder über die Politiker. Oder ich kann lästern und über andere herziehen. Das ändert sich, sobald ich verstehe, dass wir alle projizieren. Dann wird vieles komplizierter, weil wir nicht mehr so gedankenlos über andere urteilen können, weil ich mich ja immer fragen muss: „Ist das jetzt gerade meine Projektion?“ Das heißt, ich kann es mir nicht mehr so einfach machen wie vorher. Und dann werde ich als Mensch bewusster. Und indem ich mich öfter frage:“ Was hat das eigentlich mit mir zu tun?“, gewinne ich ein großes Stück Einfluss auf meine eigenen Gefühle und dadurch auch Handlungsfähigkeit zurück. Denn was direkt etwas mit mir und meiner Gedanken- und Gefühlswelt zu tun hat, kann ich einfacher beeinflussen und ändern als zum Beispiel das Verhalten der anderen Menschen. Dazu ein Beispiel: Ich persönlich habe mich jahrelang höllisch darüber aufgeregt, dass Menschen im Supermarkt ihren Einkaufswagen mitten im Weg stehen lassen. Ich würde so etwas nie machen, weil ich das gedanken- und rücksichtslos finde. Bis ich irgendwann herausgefunden habe, dass ich grundsätzlich Schwierigkeiten damit habe, Menschen im Weg zu stehen oder zur Last zu fallen. Ich habe also meine eigenen inneren Einschränkungen auf andere Menschen projiziert und mich über sie aufgeregt. Seitdem ich weiß, woher es kommt, bleibe ich ganz entspannt beim Einkaufswagen, die mir im Weg stehen. Und ich habe gelernt, dass es in Ordnung ist, Freunden Umstände zu machen, weil das zum Geben und Nehmen zwischen Freunden dazugehört.